Trigon Raphaeli

Montag, 12. Dezember 2011

°Tantra Weisheit und Mitgefühl in vollendeter Form - Geshe Thubten Ngawang


... ein kleiner Exkurs in einige Grundlagen des Tibetischen Tantra...






Die Motivation für das Tantra ist vollkommen altruistisch; es geht nicht darum, dass der Übende selbst einen kürzeren oder leichteren Pfad haben möchte. Sein Bedürfnis, schnell Verwirklichungen zu erlangen, entsteht nur mit Rücksicht auf die anderen.
Das Mitgefühl ist im tantrischen Fahrzeug noch stärker ausgeprägt als im Vollkommenheitsfahrzeug. Die Übenden machen sich klar, dass jede Stunde, jede Minute, um die sie die Buddhaschaft früher erreichen können, für bestimmte Lebewesen von großem Nutzen ist und deren Leid verkürzt. Je eher jemand spontan und mühelos zum Wohle der anderen genau das tun kann, was angebracht ist, um so besser ist es für die Lebewesen. Auf Grund dieser Überlegungen entsteht eine noch größere Dringlichkeit, ein noch stärkerer Wunsch nach der Buddhaschaft. Für Menschen, die diese starke Geisteskraft besitzen, hat Buddha Shakyamuni den schnellen Pfad des Tantra gelehrt, der Mittel enthält, sehr schnell Fortschritte zu machen.
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Bei der Praxis des Tantra gilt ein Prinzip, das wir auch aus dem Vollkommenheitsfahrzeug kennen, nämlich, dass wir einen Pfad der Weisheit auf der Grundlage von Mitgefühl üben. Dies ist die Essenz des gesamten buddhistischen Pfades. Wir sprechen auch von der Erkenntnis der Leerheit, die die Essenz des Mitgefühls als Grundlage hat. Im Vollkommenheitsfahrzeug bedeutet dies, dass sich Methode und Weisheit als zwei Aspekte des Pfades gegenseitig positiv beeinflussen, aber substanziell getrennt sind. Wenn man den Aspekt der Methode auf dem Pfad übt - wie Freigebigkeit, Geduld usw. -, dann unterstützt dies die Erkenntnis der Leerheit, der eigentlichen Natur aller Phänomene. Auf der anderen Seite fördert das Verständnis der Leerheit die altruistischen Handlungen. Aber Weisheit und Methode werden voneinander getrennt praktiziert.
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Auf der Grundlage der Initiation, der Gelübde und der Sadhanas, die man praktiziert, beseitigt man Schritt für Schritt die groben und subtilen Hindernisse des Geistes, um dann die höchsten Verwirklichungen zu erlangen, was gleichbedeutend mit der Buddhaschaft ist. Das ist das Ziel im Tantrayana und auch im Vollkommenheitsfahrzeug. Der Unterschied besteht u.a. darin, dass das Ziel im tantrischen Fahrzeug schneller, aber auch schwieriger zu erreichen ist.


Außerhalb der Meditationssitzung ist es von größter Wichtigkeit, die verschiedensten Handlungen zum Wohle der Wesen auszuführen. In den Erklärungen für Bodhisattvas, zum Beispiel über die Praxis von ethischer Disziplin, werden verschiedene Arten solcher Handlungen aufgezählt: Es gilt, Armen zu helfen, für Kranke zu sorgen oder auch interessierten Menschen die Methoden der Geistesschulung zu vermitteln.
Im tantrischen Buddhismus werden vier Arten von Aktivitäten herausgestellt: Es sind die befriedenden, die ausweitenden, die machtvollen und die zornvollen Aktivitäten. Für uns sind im Moment die befriedenden und die ausweitenden Aktivitäten innerhalb der vier Aktivitäten am wichtigsten.


Auch werden im Tantra Mittel und Rituale aufgezeigt, um den Wohlstand in einem Land zu vermehren, indem man Freigebigkeit stärkt und Freigebigkeitsrituale ausführt. Man meditiert auch über spezielle Gottheiten, die einem bei der Erfüllung dieser Ziele helfen.
Unter machtvollen Aktivitäten ist hauptsächlich zu verstehen, dass man Tugenden wie Freigebigkeit, Ethik, Geduld, Tatkraft, Konzentration und Weisheit anwach-sen lässt. Der Übende erlangt immer mehr Fähigkeiten darin, die Fehler des Geistes, vor allem die Grundübel Hass, Gier und Unwissenheit, zu überwinden und Macht darüber zu gewinnen. Innerhalb der machtvollen Aktivitäten gibt es eine besondere Art, die sogenannte zornvolle Aktivität. In diesem



Die Praxis, Begierde in den Pfad zu integrieren, ist wohl der subtilste Teil der tantrischen Praxis und sehr, sehr schwierig. Alle buddhistischen Fahrzeuge sehen Begierde als eine Wurzelleidenschaft an, die unbedingt überwunden werden muss. Die Methoden zur Überwindung können sich jedoch unterscheiden. Im Tantra geht es darum, die Begierde zu nutzen und dadurch gewissermaßen unschädlich zu machen.
Bei gewöhnlichen Menschen ist Begierde schnell entflammt: Sobald wir etwas Schönes sehen, sei es eine Blume, eine Person oder ein anderes Objekt, das wir attraktiv finden, übertreiben wir die Eigenschaften dieses Gegenstandes. Dadurch gerät unser Geist in einen Zustand der Aufregung und Anhaftung. Dieser Geisteszustand bildet die Grundlage für viele Leiden, die wir später erleben werden. Gelingt es einem Übenden, in dem Moment, in dem er Freude an etwas empfindet, den Geist so zu disziplinieren, dass er die Vier Siegel der buddhistischen Lehre erkennt, dann kann er sich erfreuen, ohne unter die Macht der Begierde zu geraten.


Die Vier Siegel sind:
1. alles Befleckte ist leidhaft
2. alles, was geschaffen wurde, ist unbeständig
3. alle Phänomene sind leer und ohne Selbst
4. Nirvana ist Frieden



Die Erkenntnis der Leerheit ist Grundlage dafür, Begierde in den Pfad zu nehmen. Die Freude bleibt, ohne dass der Geist in Verwirrung gerät. Die Freude wird benutzt, um über die Leerheit zu meditieren. Das ist die Vorgehensweise im Tantra, und sie ist eine sehr fortgeschrittene Praxis. Auf unserer Ebene gilt: Wir sollten Techniken der Geistesschulung anwenden, so dass das Erleben von Freude uns nicht Ursachen für zukünftiges Leiden schafft; wir sollten anstreben, dass die Begierde uns nicht schadet. In dem Moment, in dem wir einem attraktiven Objekt begegnen, sollten wir erkennen, dass eine angenehme Empfindung entsteht und diese mit der Erkenntnis verbinden, dass das begehrte Objekt ganz und gar unbeständig und leidhaft ist und auf lange Sicht keinerlei Glück in sich birgt. Wer sich so übt und diese Erkenntnisse in jedem Moment präsent hat, kann damit anfangen, Begierde in den Pfad zu nehmen. In jedem Moment die Einsicht in die Leerheit hervorzubringen, wie es im Tantra geübt wird, ist für uns im Moment sehr schwierig.
Der beste religiöse Praktizierende ist der, der im gleichen Moment, in dem eine Leidenschaft auftritt, sofort das Gegenmittel parat hat. Sobald die Begierde auch nur im Ansatz entsteht, setzt er ihr sofort die Gedanken der Unbeständigkeit, Leidhaftigkeit und vielleicht sogar der Leerheit entgegen. Lodern Gefühle von Hass und Ärger auf, entwickelt er sofort Mitgefühl und Geduld.
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Geshe Thubten Ngawang


°Tantra Weisheit und Mitgefühl in vollendeter Form°

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