Trigon Raphaeli

Samstag, 25. Januar 2014

Gefühl und Emotion

Gefühl und Emotion

Gefühl und Emotion sind zwei Begriffe, die häufig gleichbedeutend verwendet werden. Ich fühle mich gut; ich fühle mich schlecht; ich bin hungrig; ich bin ärgerlich...
Es gibt allerdings gute Gründe, diese zwei Begriffe zu unterscheiden und somit, durch die sprachliche Differenzierung, auch eine erweiterte Wahrnehmung zu gewinnen.

Gefühl

Ein Gefühl ist, was gefühlt wird, was wahrgenommen wird. Gefühl ist das, was über die Sinnesorgane an Impulsen und Empfindungen in das Bewusstsein hinein tritt. Da ist Wärme; da ist Kälte; da ist Hunger; da ist Angst...Ein Gefühl ist ohne Bewertung. Es wird einfach festgestellt, was da ist, ohne Urteil darüber, ob das gut oder schlecht, angenehm oder unangenehm sei. Es ist einfach so. Punkt.
Fühlen hat eine weibliche, passive Yin-Qualität. Es geht um Aufnehmen, Hingabe und Wahrnehmung.

Emotion

Emotion hingegen ist eine ex-motion - eine Bewegung von innen nach aussen. Manche lesen es auch als e-motion - Energie in Bewegung. Emotion hat eine männliche, aktive Yang-Qualität. Es geht um Ausdruck, Handlung - und auch um Beurteilung.
Emotion ist eine Bewertung dessen, was gefühlt wurde, und wie dies ausgedrückt wird: der Tee ist heiss - das ist angenehm. Das Essen ist kalt - das ärgert mich.

Gefühl und Emotion unterscheiden

Die emotionale Bewertung ist nicht etwas, was in der Sache selbst begründet ist, sondern etwas, was vom Menschen kommt, der eine Sache fühlt und diese beurteilt. Nicht allle mögen heissen Tee, und nicht immer - was im Winter positive Emotionen von Kuscheligkeit, Wohlbefinden und Wärme schafft, kann im Sommer einfach zuviel an Wärme sein, und ein eiskaltes Getränk willkommener und angenehmer.
Diese Unterscheidung von Gefühl und Emotion lässt sich nicht nur auf physische Wahrnehmungen anwenden, sondern ebenso auf energetische Wahrnehmungen, auf die Wahrnehmung von Interaktionen zwischen Menschen, oder auf das Wahrnehmen von Stimmungen und Atmosphären in einem Raum oder an einem Ort.

Mitleid und Mitgefühl

Viele Menschen haben die Gewohnheit, fremde Emotionen zu übernehmen. Wenn im Fernsehen ein Bericht über eine Katastrophe gezeigt wird, wenn eine Freundin von der Untreue des Partners berichtet, wenn eine geliebter Mensch krank ist... so übernehmen sie deren Emotionen und leiden mit. Die Katastrophe, das Unglück geschah anderswo - doch sie empfinden den Schmerz fast genauso stark wie die Personen, die tatsächlich davon betroffen sind. Sie leben nach dem Prinzip "geteiltes Leid ist doppeltes Leid" - und empfinden oft auch Vergnügen an dem emotionalen Drama, das ohne Risiko für sich selbst intensive Empfindungen verschafft. Das Fahren auf der emotionalen Achterbahn anderer Leute ähnelt durchaus dem Nervenkitzel, den physische Achterbahnen vermitteln... Das ist Mitleid: sich selbst in dieselbe leidende Stimmung versetzen, die jemand anders hat.
Mitgefühl hat eine andere Qualität. Wer mit-fühlt, nimmt den Schmerz und das Leid anderer Menschen wahr - doch ohne dieses Leid selbst zu empfinden. Dies ist nicht immer einfach, und eine Herausforderungen in allen Berufen, wo es darum geht, Menschen in unglücklichen und leidvollen Lagen zu helfen, sei es in der Krankenpflege, sei es im Rahmen psychotherapeutischer Methoden, sei es als Lehrerin, sei es als Coiffeur, sei es als Barman. Wer täglich mit leidenden Menschen zu tun hat, kann es sich nicht erlauben, sich von den Emotionen anderer Leute überschwemmen zu lassen - so etwas geht schnell über die eigene Kraft. Ebenso wenig ist es eine gute Idee, sich zynisch abzugrenzen und gar nichts mehr zu empfinden. Mitgefühl ist eine Gratwanderung, wo das Befinden anderer Menschen zwar wahrgenommen wird, aber nicht selbst übernommen wird.
Der Ambulanzfahrer, den an einen Unfallort kommt, könnte nichts Falscheres tun, als sich von seinen Emotionen überwältigen zu lassen, hysterisch zu weinen - und daneben das Unfallopfer verbluten lassen. Im Gegenteil, er muss einen klaren Kopf bewahren und mit Umsicht und Verstand die notwendigen Massnahmen treffen, um dem Verunfallten bestmöglich zu helfen. Ebenso ist es undienlich, wenn die Psychotherapeutin, deren Klientin unter einem abwesenden Vater leidet, sich von ihren eigenen Erinnerungen an unglückliche Familienverhältnisse überschwemmen lässt, und beide gemeinsam leiden; im Gegenteil, es ist ihre Aufgabe, bei sich zu bleiben, und eine stabile Plattform von Ruhe und Sicherheit zu vermitteln, auf der die Klientin ihre eigenen Emotionen, Erfahrungen und Erinnerungen aufarbeiten kann.

meins oder deins?

Viele Menschen, die eine grosse Sensibilität für Emotionen haben, meiden grosse Ansammlungen von Menschen. Denn wo viele Menschen sind, schwirren auch viele Emotionen herum; und wer dafür empfänglich ist, wird diesen Mischmasch an Emotionen so empfinden, als ob es die eigenen wären. Das ist äusserst unangenehm und anstrengend; nach einer solchen Erfahrung kann ein Gefühl von grosser Müdigkeit, Trauer, Wut, Ausgelaugtheit entstehen.
Es ist glücklicherweise möglich, sich davor zu schützen - indem der Emotionalkörper bei sich behalten wird, und die Wahrnehmung über die höheren Energiekörper läuft. Immer wenn unerklärliche, starke Emotionen empfunden werden, lohnt es sich innezuhalten, durchzuatmen und sich zu fragen: gehört das zu mir, oder gehört das jemand anderem? Auf diese Weise kann gelernt werden, den Qualitätsunterschied zwischen Fühlen und Emotionen je länger je besser zu unterscheiden. Ebenso entsteht durch dieses zunehmende Bewusstsein immer mehr die Möglichkeit zu wählen: auf welche Emotionen lasse ich mich ein, auf welche nicht?
Emotionen sind nichts Falsches, oder Böses - sie sind lediglich eine Art des Ausdrucks, die je nach Situation gewählt werden kann. Doch es ist die Differenziertheit des Fühlens, die sinnvolle Entscheidungen erst ermöglicht.
© Barbara Seiler 2008 - www.spiriforum.net

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